Folge: 61 | Erstausstrahlung am 27. November 2011 | Die Gäste: Prof. Dr. Gerd Ganteför (Experimentalphysiker und Klima-Theoretiker) und Frank Schätzing (Bestseller-Autor)
Das Thema
Geht die Welt, buchstäblich, unter? Als ein deutsches Nachrichtenmagazin im August 1986 seine Titelgeschichte „Die Klima-Katastrophe“ über Ozon-Loch, Pol-Schmelze und Treibhaus-Effekt publizierte, zeigte es („Forscher warnen“) als Cover-Illustration eine Meereswüste, aus deren Fluten gerade noch die Türme des Kölner Doms ragten. Ob aber der Meeresspiegel dramatisch ins Unbemessene steigt und Länder und Kontinente in den Wassern versinken oder, ebenso unerfreuliche Variante, die Landmassen versteppen und veröden, die Menschen an Wassermangel und bei Hungersnöten elend sterben: Das Ende der bewohnten Welt steht durchaus bevor, die Menschheit hat ihre besten Zeiten erlebt. Schluss mit lustig, denn sie hat selber Schuld, die Ursachen des Untergangs sind menschengemacht: Besinnungslose Ressourcenverschwendung, verantwortungslose Verpestung der Atmosphäre nehmen allem, was lebt, die Existenzgrundlage.
Auch heute, fünfundzwanzig Jahre später, kommen Forscher und Experten immer wieder zu ähnlich kruden Prophezeiungen. Wie einst die Bußprediger im Mittelalter rühren sie an Gewissen und Moral und mahnen mit starken Worten zur Umkehr. Und haben sie nicht Recht? Sprechen nicht Waldsterben, riesige Überschwemmungen, in unseren gemäßigten Zonen scheinbar nie gekannte Wetter-Anomalitäten wie unmäßiger Starkregen, verheerende Stürme, allzu nasskalte (oder zu heiße und trockene) Sommer, allzu warme (oder extrem kalte und schneereiche) Winter eine deutliche Sprache? Mittlerweile ist ja das Klima-Grauen auch ein Teil des Unterhaltungsgeschäfts geworden: Katastrophenfilme lassen mit ihren täuschend echten Bildern dem Publikum Schauer über den Rücken laufen, wenn in der Entfesselung der Naturgewalten die Zivilisation zusammenbricht; Schriftsteller malen in wissenschaftlich unterlegten Phantasiegeschichten ebensolche Szenarien genüsslich aus; der Autor Frank Schätzing etwa hat mit seinem millionenfach verkauften Bestseller „Der Schwarm“ mit ebensoviel Fachwissen wie schriftstellerischer Vorstellungskraft einen solchen Roman geschrieben, der seine Leser mit ihrem schlechten Gewissen konfrontiert und zugleich ihren Ängsten Nahrung gibt.
Freilich treten nun auch Wissenschaftler in Erscheinung, die mit einer weniger sensationellen Mitteilung um die Aufmerksamkeit des Publikums ringen: Alles halb so wild, sagen sie, der Weltuntergang findet nicht statt – jedenfalls noch nicht so bald. Zu ihnen zählt der Konstanzer Physiker Gerd Ganteför, der sich seit langem neben seinem eigentlichen Fach, der Nanowissenschaft, die Mühe macht, Erkenntnisse von Klimaforschern und anderen Experten zu prüfen, zu gewichten und miteinander in Beziehung zu setzen. So gewinnt er mit wissenschaftlicher Methodik die Erkenntnis, dass die so gefürchtete Erderwärmung mehr Vorteile als Nachteile hat und der Klimawandel am Ende als etwas zu werten sei, bei dem Naturgeschehen und menschliche Einwirkung zum Wohl der allgemeinen Entwicklung zusammenwirken.
Mit ihm, der seiner gemäßigten Sicht wegen von anderen Klimaexperten schon als schädlicher Abwiegler gebrandmarkt wird, und mit Frank Schätzing, dem Meister der Science Fiction, diskutieren Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski. Nun ist der Klimawandel ja nicht das einzige Thema, bei dem man einerseits auf die Expertenmeinungen angewiesen ist, die einschlägigen Expertisen andererseits aber sehr kontrovers sind. Dazu kommt, dass die Wahrheitsfindung zwischen Wissenschaft und Ideologie, Sophisterei und Gehässigkeit längst auch Züge eines Glaubenskrieges angenommen hat. Mehr oder weniger fundierte Erkenntnisse werden als Glaubenssache verhandelt und mit Glaubenseifer aufgenommen. Schon spricht man von „Klimadissidenten“. Bekannt ist auch, dass, wie immer in solchen Fällen, Erkenntnis und ökonomisches Interesse ihre übliche Allianz eingehen. Es scheint den Philosophen Grund genug zu geben, den inbrünstigen Glauben an die Wissenschaft nicht zu weit zu treiben, da ja die Wissenschaft, wenn sie ihr Konto nicht überziehen will, nicht als geschlossene Einheit auftreten und mit einer Stimme sprechen kann. Das könnte die Stunde der Demokratie sein, die mit gesundem Menschenverstand zwischen differenten Expertisen entscheiden muss. Mit Goethe: „Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten.“
Die Gäste
Frank Schätzing, 1957 in Köln geboren, hat als Schriftsteller mit einem einzigen Buch, dem Science-Fiction-Thriller „Der Schwarm“, einen legendären Erfolg erzielt: Fast vier Millionen Exemplare des 2004 erschienenen Romans wurden bis heute verkauft; er liegt weltweit in siebenundzwanzig Sprachen vor. Dabei war dies beileibe nicht das erste Buch des studierten Kommunikationswissenschaftlers, späteren Creative Directors und Geschäftsführers einer Werbeagentur. Zu Beginn der neunziger Jahre trat Schätzing erstmals als Autor von Novellen und Satiren hervor, veröffentlichte zwischen 1995 und 2000 fünf „Köln-Krimis“. 2004 dann katapultierte ihn „Der Schwarm“ in die erste Reihe populärer Erzähler. Seiner Leidenschaft für Meer und Tiefsee verdankt sich sein 2008 erschienenes Sachbuch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“. Seinen letzten Thriller „Limit“ publizierte Schätzing 2009. Der Autor machte sich auch als Fernsehdokumentarist einen Namen; so drehte er für das ZDF die Zukunftsvision „2057“ und „Universum der Ozeane“, für den NDR die Doku „Die Rache der Ozeane“. Nahezu alle seine Bücher sind auch in Hör-Versionen erschienen. Als Herausgeber verantwortete er den Band „Carl Barks: Die tollkühnen Abenteuer der Ducks auf hoher See“ (2006). Schätzing wurde für sein schriftstellerisches Werk vielfach ausgezeichnet. Allein für den „Schwarm“ erhielt er den Literaturpreis „Corine“ (2004), den „Kurd-Laßwitz-Preis“ für den besten SF-Roman, den „Deutschen Science Fiction Preis“, die „Goldene Feder“ und den „Deutschen Krimipreis“ (alle 2005), 2007 den „Stein im Brett“-Preis des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler. Er lebt in seiner Geburtsstadt Köln.
Gerd Ganteför wurde 1956 bei Leipzig geboren. Nach dem Abitur studierte er Physik an der Universität Münster, wo er 1984 sein Diplom über Sonnenphysik erwarb. Fünf Jahre später wurde er von der Universität Bielefeld im Gebiet Nanowissenschaften promoviert, verbrachte dann ein Jahr bei Exxon in New Jersey (USA) und befasste sich mit Laserspektroskopie. Von 1991 an wirkte er fünf Jahre am Forschungszentrum Jülich und habilitierte sich 1996 an der Universität zu Köln in Nanowissenschaften. Seit 1997 ist er Professor für Experimentalphysik an der Universität Konstanz. Seine Forschungsarbeit gilt vor allem Aspekten der Nanowissenschaften. 2008 bis 2011 wurde er zudem als Research-Professor an die John Hopkins University in Baltimore (USA) berufen, seit 2011 nimmt er auch einen Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule in Thurgau (Schweiz) wahr. Über sein engeres Fachgebiet hinaus, in dem er regelmäßig publiziert, ist Ganteför als Autor und Vortragsredner in Erscheinung getreten, der die zum Teil auch wissenschaftlich ins Abstruse abgleitende Diskussion über die Problematik des Klimawandels und der Energiewende zu versachlichen sucht. Aufsehen und einigen Widerspruch aus der kritisierten Klimaforschung erregte sein Buch „Klima. Der Weltuntergang findet nicht statt“ (2010). Ganteför lebt im schweizerischen Landschlacht.