Folge: 2 | Erstausstrahlung am 19.02.2002 | Die Gäste: Klaus von Dohnanyi (Publizist und Politiker) und Martin Walser (Schriftsteller)
„Die moderne Gesellschaft“, so der Befund von Peter Sloterdijk, „zeichnet sich durch eine hohe Skandalanfälligkeit aus.“ Das Prinzip der Diffamierung wird in Deutschland immer mehr zum Politikersatz. Je geringer die Kompetenz der Parteien für Problemlösungen wird, umso stärker gedeiht ihre Neigung, Konflikte, Unregelmäßigkeiten und Missstände zum Skandal hoch zu stilisieren. Es ist Mode und Methode geworden, statt plausibler Lösungen Sündenböcke zu suchen, die man an den Pranger stellen kann. So hat sich bei uns, wie Sloterdijk sagt, ein neuer Berufszweig entwickelt: der „Skandaltechniker und Skandalstratege“. Mit dem Mut zu grober, nicht statthafter Vereinfachung entfachen diese Experten den Skandal, halten damit Anhängerschaften beisammen, polarisieren und verdecken die Unfähigkeit zu wahrhaft geistigem Diskurs. Der Skandal wird damit zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Er kann an den Rand des semantischen Bürgerkriegs führen und psychische Spuren an den Teilnehmern hinterlassen. „Skandalbereite Medien gehen von der Information zur Erregung über“: Im Kampf um Marktanteile und Auflagenhöhe wird aus einer kritischen Öffentlichkeit eine „Meinungstreibjagd, aus der jeder eine möglichst hohe Rendite ziehen will“, sagt Sloterdijk. Der soziale Zusammenhang ist bedroht. Skandale der vergangenen Jahre um Martin Walser, Peter Handke oder Botho Strauss können dies beispielhaft zeigen.
Andererseits stellt sich die Frage, ob der Skandal nicht auch wichtig für den Themenhaushalt einer gut funktionierenden Demokratie ist. Hier wird sichtbar, dass es neben dem offiziellen Parteiensystem informelle Parteien gibt, die anlässlich solcher Erregungen an die Oberfläche kommen. Rüdiger Safranski spitzt diese Beobachtung auf die These zu, dass „das Aufdecken von Skandalen geradezu ein Gesundheitszeugnis für die Demokratie“ sein kann.
Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski haben den Schriftsteller Martin Walser und den Publizisten und ehemaligen Politiker Klaus von Dohnanyi zum philosophischen Gespräch eingeladen. Martin Walser gilt seit Jahrzehnten als wortgewaltiger Interpret und Kommentator deutscher Zustände. Er kann aus eigener bitterer Erfahrung vom Nutzen nicht, umso mehr aber vom Nachteil des Lebens unter einem Skandal berichten, den er 1998 mit seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auslöste. Klaus von Dohnanyi war einer der wenigen, die sich damals auf die Seite von Walser stellten. Aus seinem Verständnis von Zivilcourage und der Forderung nach einer freien Diskussion hat er damals wie heute das Wort ergriffen. (Text: ZDF)