Als sich zum Jahreswechsel das Volk Tunesiens gegen seine Machthaber erhob und den Diktator Ben Ali und seinen Clan verjagte, ging ein ungläubiges Staunen durch die Welt. Bürgerliche Revolte in einem nordafrikanischen Land ohne Islamisten: Das war von niemandem erwartet worden. Nicht von den Geheimdiensten dieser Welt, nicht von der Politik und nicht von der Presse. Und die Welle der Jasmin-Revolution geht weiter, über Ägypten, Libyen bis hin zur arabischen Halbinsel, beschleunigt und befördert durch Facebook und Twitter. Niemand vermag heute zu sagen, wohin dieser Sturm der Geschichte führen wird, ob er in einer wirklichen Revolution enden wird mit wachsenden demokratischen Strukturen oder in einer gewaltigen Anarchie. Fest steht nur: Wieder einmal ließ sich Geschichte nicht voraussehen. Ganz offenbar überschätzen wir notorisch unsere prognostischen Kompetenzen. In einer Welt des beschleunigten Wandels muss über das altbekannte Problem der Torheit einer Politik, die nur mit kurzen Fristen rechnet, wieder nachgedacht werden. Was wird aus der Kunst des Möglichen bei so viel Blindheit für das angeblich Unmögliche? Muss der Zusammenhang von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont neu justiert werden? Diese Fragen diskutieren Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski im „Philosophischen Quartett“ des ZDF, erstmals aus dem Hotel Intercontinental in Berlin. Gäste sind Thea Dorn, Schriftstellerin, scharfzüngige Moderatorin und Philosophin, und Herfried Münkler, einer der profiliertesten Politologen und politischen Vordenker Deutschlands. Nicht wenige hierzulande fühlen sich an den Fall der Berliner Mauer erinnert, an die Montagsdemonstrationen in Leipzig, von denen ein Signal zum Aufbegehren der DDR-Bürger ausging, das in kürzester Zeit zum Ende des kommunistischen Regimes führte. Auch damals war der Westen überrascht, die Menschen hatten ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, unsere Geschichte nahm eine unglaubliche, unverhoffte Wendung. Nur sehr selten sind bedeutende geschichtliche Umbrüche vorhergesehen worden. Das gilt auch und gerade für die letzten Jahrzehnte. Die Revolte von 1968, die islamische Revolution im Iran, den Zusammenbruch des Ostblocks, 9/11 oder die Weltfinanzkrise hatte man zuvor nicht im Visier. Und mit dem Sturm, der jetzt durch die arabische Welt fegt, hat ebenso wenig auch nur ein Mensch gerechnet. Die Unvorhersehbarkeit des historischen Prozesses – sollte man sie sich nicht wenigstens eingestehen? (Text: ZDF)