Vielerorts wird heute vom Aufkommen einer „neuen Bürgerlichkeit“ gesprochen. Ist das Bürgertum dabei, wieder selbstbewußt aufzuerstehen? Man glaubte, dass bereits die Nationalsozialisten die bürgerliche Welt, deren Maßstäbe und Energien zerstört hatten. Man glaubte zudem, dass die kommunistischen Diktatoren der DDR das leistungswillige Bürgertum, die Mitte der Gesellschaft, ein für allemal abgeschafft hatten. Und man glaubte, dass in der Bundesrepublik 1968 von den marxistischen Studenten und Intellektuellen die Reste der bürgerlichen Epoche zu Grabe getragen worden seien. Leben wir nur noch in den Ruinen der Bürgerlichkeit, in denen es allenfalls noch um äußerliche Formen, um leere Gesten aber längst nicht mehr um innere Werte geht? In der neuen Ausgabe des „Philosophischen Quartetts“ im ZDF denken Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski mit ihren Gästen darüber nach, was bürgerliche Lebensform eigentlich bedeutet. Sie stellen sich mit Klaus von Dohnanyi, dem ehemaligen Ersten Bürgermeister Hamburgs, und dem Dramatiker, Autor und kritischen Zeitdiagnostiker Moritz Rinke die Frage: Taugt die Bürgerlichkeit noch als Lebensschablone für das 21. Jahrhundert oder entfalten sich neue, zeitgemäßere Lebensformen? Gibt es den „Neuen Bürger“ überhaupt? Oder ist er nur der alte Spießer im modischen Anzug? Die Bürgerlichkeit hielt sich an ungeschriebene, aber verbindliche Regeln, an die guten Sitten und den Anstand. Zu den Maximen, die ein Kaufmann einst beachtete, zählten die Ehrlichkeit und die Zuverlässigkeit. Die Solidität war die Grundlage allen Handelns. Das war die Zeit, in der es noch keine Banker, sondern Bankiers gab. Gerade die sich betont bürgerlich gebenden Banker haben mit ihrem Machthunger und ihrer Gier die Bürgerlichkeit um ihren sittlichen Kredit gebracht, ebenso wie Politiker, die sich ihren Sponsoren zur Verfügung stellen. Ist der Verlust der bürgerlichen Gemeinwohlorientierung, das Schwinden bürgerlicher Werte das, was unser politisches System nachhaltig erschüttert? (Text: ZDF)