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Das Schelling-Projekt

Roman • Gebunden 251 Seiten • Verlag Suhrkamp Veröffentlichungsdatum: 12. September 2016 Leseprobe (PDF) Inhalt Eine in die Jahre gekommene Fünferbande, drei Männer, zwei Frauen, stellt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Antrag auf Förderung des Projekts »Zwischen Biologie und Humanwissenschaften: Zum Problem der Entfaltung luxurierender Sexualität auf dem Weg von den Hominiden-Weibchen zu den Homo-sapiens-Frauen aus evolutionstheoretischer Sicht mit ständiger Rücksicht auf die Naturphilosophie des deutschen Idealismus«. »Vita femina« wäre für eine der Mitstreiterinnen der angemessenere Titel gewesen. Mit dem Ablehnungsbescheid des Vorhabens setzt der neue Roman von Peter Sloterdijk ein, und zwar als Briefroman, gefolgt von dem Bericht einer Arbeitssitzung zwischen am Thema Gleichinteressierten, das sich auch so beschreiben läßt: »Die apathische Beckenschaufel der Afrikanerin und das Seufzen meiner Liebsten – ein etwas unzivilisiertes Schreien, um genau zu sein, mit Anteilen von humoristischer Anfeuerung und vorgetäuschtem Protest gegen das Zuviel – sind Teile ein und derselben Geschichte.« Peter Sloterdijk erkundet auch in diesem Roman – in Form und Inhalt – das Unzeitgemäße und damit das Erhellende und Überraschende. Auf dem munteren Weg dorthin greift unausweichlich eine erotische Geschichte in die …

Bayreuther Assoziationen

1 „Oh wer erzählt uns die ganze Geschichte der Narkotika! – es ist beinahe die Geschichte der „Bildung“, der sogenannten höheren Bildung!“ Nietzsches gelehrter Seufzer, mit Blick auf das Theater gesprochen, 1882 publiziert, gehört zu den skizzenhaft gebliebenen großen Sätzen, die auf ihre Entwicklung so lange warten mußten, bis schließlich der günstige Augenblick verpaßt war. Gehemmt wurde die Entfaltung von Nietzsches Intuition ohne Zweifel durch das kulturweit lautstarke Echo auf den sinnverwandten, sehr viel grobschlächtigeren Ausspruch, mit welchem Marx 1844 die Religion als das Opium des Volkes bezeichnete hatte. Hätte man die beiden Sätze rechtzeitig nebeneinander oder übereinander gelegt, was hätte die Kulturwissenschaft für einen Sprung nach vorn vollziehen können! Man würde bemerkt haben, daß beide Beobachtungen aus der gleichen Matrix stammen. Sie gehören, die eine wie die andere, in das nach-metaphysische Zwielicht des 19. Jahrhunderts, in dem sich die Idee und die Materie auf neue Weise miteinander einließen. Eine unerhörte Toxikologie der Zivilisation kündigte sich an, prekär und ihrerseits alles andere als ungiftig. Vergiften, zersetzen, denken: Das alte Zusammengesetzte, das wir jetzt ironisch „Kultur“ …

Letzte Ausfahrt Empörung

Über Bürgerausschaltung in Demokratien Wann immer Politiker und Politologen sich über den Zustand einer modernen res publica Gedanken machen, drängen Reminiszenzen an das alte Rom sich auf. Das widerfuhr auch jüngst dem glücklosen deutschen Außenminister, als er, um den in seinen Augen allzu üppigen Sozialstaat unseres Landes zu kritisieren, auf den Gedanken verfiel, die heutigen Verhältnisse mit den Niederungen der „römischen Dekadenz“ zu vergleichen. Welche Vorstellungen er hiermit verband, konnte nie genau ermittelt werden. Vielleicht waren dem Gast an der Spitze des Auswärtigen Amts vage Erinnerungen an das System des kaiserzeitlichen Plebs-Managements durch Gladiatorenspiele in den Sinn gekommen, möglicherweise dachte er auch an die obligatorischen Getreidespenden für die arbeitslosen Massen der antiken Metropole. Beides wären Nachklänge des hastigen Geschichtsunterrichts, den die meisten deutschen Gymnasiasten des Jahrgangs 1961 (Westerwelle u. a.) genossen. Sie enthalten nichts, was zu Besorgnis Anlaß gäbe. Immerhin, der Hinweis auf die „römische Dekadenz“ im Mund eines deutschen Politikers war nicht nur ein Symptom von standesgemäßer Halbbildung. Er war auch nicht bloß ein Symptom von verbalem Draufgängertum, das bei einer gewissen Klientel Eindruck …

Der Heilige und der Hochstapler

Von der Krise der Wiederholung in der Moderne Der Erfolg von Kulturen misst sich am Willen zur Wiederholung. Insofern sind Kulturen Träger von Replikationskompetenz. Mit den geschichtsbekannten Katastrophen des 20. Jahrhunderts ist dieses Modell problematisch geworden. Orgien der Destruktion rufen nicht nach Ihresgleichen. Als radikalste Absage an alle Formen alteuropäischer Seriosität lässt sich die Dada-Bewegung beschreiben. An ihrem Ende stehen mit dem Heiligen und dem Hochstapler zwei Phänotypen, von denen letzterer unter den Bedingungen einer entfalteten Mediengesellschaft eine beachtliche Karriere gemacht hat. Sein Terrain ist das Plagiat. SWR2 Essay – MANUSKRIPT ZUM DOWNLOAD

Die Revolution der gebenden Hand

Die kapitalismuskritische Linke definiert das Eigentum als Diebstahl. Der größte Nehmer ist aber der moderne Staat. Wir leben in einem steuerstaatlich zugreifenden Semi-Sozialismus – und niemand ruft zum fiskalischen Bürgerkrieg auf. Am Anfang aller ökonomischen Verhältnisse stehen, wenn man den Klassikern glauben darf, die Willkür und die Leichtgläubigkeit. Rousseau hat hierüber in dem berühmten Einleitungssatz zum zweiten Teil seines Diskurses über die Ungleichheit unter den Menschen von 1755 das Nötige erklärt: „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: Das gehört mir!, und der Leute fand, die einfältig (simples) genug waren, ihm zu glauben, ist der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft (société civile).“ Demnach beginnt, was wir das „Wirtschaftsleben“ nennen, mit der Fähigkeit, einen überzeugenden Zaun zu errichten und das eingehegte Terrain durch einen autoritativen Sprechakt unter die Verfügungsgewalt des Zaun-Herrn zu stellen: Ceci est à moi. Der erste Nehmer ist der erste Unternehmer – der erste Bürger und der erste Dieb. Er wird unvermeidlich begleitet vom ersten Notar. Damit so etwas wie überschussträchtige Bodenbewirtschaftung in Gang kommt, …