«Zorn und Zeit»
Peter Sloterdijk, Gratulation zu Ihrem neuen Buch «Zorn und Zeit» – diese Weltgeschichte des Zorns und Ressentiments ist ein grosser Wurf. Zunächst gab es bei mir nur die Intuition, daß sich unter diesen Motiven ein riesige Lagerstättte an Einsichten verbirgt. Sobald sich diese Intuition konsolidiert hatte, schrieb sich das Buch von allein. Der Zorn ist wie Nietzsches „Abgrund“: Je mehr man in hinabschaut, desto fester blickt er zurück. Ihr Buch eröffnet einen Blickwechsel, weg vom Freudschen Eros, der zwar viel erklärte, aber auch große blinden Flecken hinterliess, hin zum Thymos, jener Kategorie, mit der die Griechen vom Stolz der Menschen wie von einer selbständigen Quelle positiver Energien sprachen. Gewiß, wir leben in einer Ära der Blickwechsel. Wir erleben gegenwärtig, wie sich die Bühne dreht, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Psychologie, wo sich ein großer Paradigmenwechsel vollzieht, von der Psychoanalyse zur Neurobiologie. Natürlich versucht man auch schon Brückenschläge zwischen zwischen Altem und Neuem, aber das ändert nichts daran, daß man inzwischen auf einem radikal veränderten Spielfeld steht. Meine Hinwendung zum thymotischen Pol der menschlichen Psyche drückt auf ihre Weise ein stark verändertes Epochengefühl aus. Viele Menschen spüren, daß sie Zeugen einer Weltkrise sind. Im …