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«Zorn und Zeit»

Peter Sloterdijk, Gratulation zu Ihrem neuen Buch «Zorn und Zeit» – diese Weltgeschichte des Zorns und Ressentiments ist ein grosser Wurf. Zunächst gab es bei mir nur die Intuition, daß sich unter diesen Motiven ein riesige Lagerstättte an Einsichten verbirgt. Sobald sich diese Intuition konsolidiert hatte, schrieb sich das Buch von allein. Der Zorn ist wie Nietzsches „Abgrund“: Je mehr man in hinabschaut, desto fester blickt er zurück. Ihr Buch eröffnet einen Blickwechsel, weg vom Freudschen Eros, der zwar viel erklärte, aber auch große blinden Flecken hinterliess, hin zum Thymos, jener Kategorie, mit der die Griechen vom Stolz der Menschen wie von einer selbständigen Quelle positiver Energien sprachen. Gewiß, wir leben in einer Ära der Blickwechsel. Wir erleben gegenwärtig, wie sich die Bühne dreht, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Psychologie, wo sich ein großer Paradigmenwechsel vollzieht, von der Psychoanalyse zur Neurobiologie. Natürlich versucht man auch schon Brückenschläge zwischen zwischen Altem und Neuem, aber das ändert nichts daran, daß man inzwischen auf einem radikal veränderten Spielfeld steht. Meine Hinwendung zum thymotischen Pol der menschlichen Psyche drückt auf ihre Weise ein stark verändertes Epochengefühl aus. Viele Menschen spüren, daß sie Zeugen einer Weltkrise sind. Im …

An der Pforte der Bedeutsamkeit

Philosophie als Zivilisationspädagogik Aus «der blaue reiter» Journal für Philosophie, Ausgabe 25 (1/2008) Herr Sloterdijk, Sie zählen zu den wenigen Philosophen, die auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Worauf führen Sie Ihren Erfolg zurück? Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube an den Erfolg oder seinen Anschein nur widerwillig oder, wenn Sie wollen, gar nicht. Die kulturelle Konstellation ist nicht mehr so, dass eine literarische oder eine philosophische Stimme, die unverkennbar hochkulturell gefärbt ist, in der heutigen Medien- und Kulturlandschaft wirklich erfolgreich sein kann. Im heutigen Milieu hat das Auseinanderdriften der populärkulturellen und hochkulturellen Felder ein solches Maß an Entfremdung zwischen den Bereichen hervorgerufen, dass es Grenzgänger kaum noch geben kann. Ja, dass überhaupt noch eine Art Verkehr stattfindet, ist schon das Erstaunliche, und das liefert wohl die Begründung für das, was Sie meinen Erfolg nennen. Aber sehen wir die Dinge aus der Nähe an: Wenn man von einem philosophischen Buch knapp 40.000 Exemplare verkauft, wie es zum Beispiel bei meinem vorletzten Buch Zorn und Zeit der Fall war, ist es zwar nach den Kriterien des …

Am Medienhimmel

Aus dem Buch «Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert.».  Jens Bergmann und Bernhard Pörksen (Hrsg.), SOLIBRO-Verlag Münster (2007) „Ein echter Star verwandelt jede Umwelt in ein Publikum, sagt Peter Sloterdijk. Mit Jana Kühle und Sugárka Sielaff spricht der Philosoph über das Denken im Fernsehen und die Produktion von Skandalen.“

„Wir leben in einer Frivolitätsepoche“

Ein Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk über die Finanzmarktkrise Herr Sloterdijk, Ihr Buch „Im Weltinnenraum des Kapitals“ beschreibt die globale Ökonomie im Bild der Seefahrt. Ist das, was wir gegenwärtig erleben, ein gigantischer Schiffbruch? Tatsächlich hat das schwebende Kapital für seinen Risikobegriff das Bild des Schiffbruchs. Der war schon ein Mittel der Kapitalvernichtung in früheren Globalisierungsjahrhunderten. Man schickte Schiffe hinaus, von denen man wusste, dass sie unter einem enormen Havarierisiko segeln. Bis heute lässt sich die Denkfigur des «Return on Investment» nautisch darstellen. Es ist die Vorstellung, dass die Schiffe, die man in den Ozean entsandt hat, auch wieder zurückkehren. Das Geld läuft um die Erde und kommt vermehrt wieder am Ausgangspunkt an. Was den Unternehmer betrifft, so steht er gewissermassen am Ufer und schaut in den Risikoraum hinaus. Die Vorsicht ist ja eigentlich die Unternehmertugend par excellence. Aber die moderne Gesellschaft beruht darauf, dass man das Risiko bejaht. Viel Geld ist in den Untiefen der Derivate und Hypotheken versenkt worden. Man müsste darüber nachdenken, ob die Metapher des Schiffbruchs für das, was heute mit grossen Vermögen geschieht, wirklich so handfest ist. Man hört ja die gut begründete …